Du nähst oder strickst wahrscheinlich, weil es Dir Spaß macht. Aber wusstest Du, dass Deine kreative Aktivität gut für Deine Gesundheit ist? Das hat Dr. Anne Kirketerp (Foto) herausgefunden. Als Kunsthandwerkerin, Handarbeitslehrerin und Psychologin forscht sie auf einem Gebiet, das sie „CRAFT-Psychologie“ nennt.
Anne kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass Freude an Handarbeit und Handwerk zur Lebensqualität beiträgt und das Leben sogar tatsächlich verlängern kann. In diesem Artikel spricht sie über die 5 wichtigsten Effekte, von denen wir profitieren, wenn wir kreativ sind.
Beim Handarbeiten oder einer handwerklichen Tätigkeit ist der wichtigste Effekt, dass wir alle grundlegenden positiven Emotionen erleben: Freude, Inspiration, Optimismus u. Ä.
Diese Gefühle zu empfinden, ist gar nicht so einfach: „Wir Menschen neigen dazu, vor allem das wahrzunehmen, was schiefgeht. Aktivitäten zu finden, die das Erlebnis positiver Emotionen sicherstellen, ist unglaublich wichtig. Denn wir müssen aktiv etwas dafür tun, dass es uns gut geht“, erklärt Anne.
Sie erklärt, dass Menschen mit einer kreativen Leidenschaft einen wirklichen Schatz haben: „Wer den ganzen Tag vor dem Bildschirm sitzt, erlebt nicht, dass ihn seine Leidenschaft produktiv macht. Das macht anfälliger für psychische Probleme, wie Einsamkeit und Depression.
Eine Leidenschaft schenkt dagegen Freude und setzt eine Aufwärtsspirale in Gang. Denn jeder Einkauf für ein neues Projekt, jedes verwirklichte Projekt, das wir dann vielleicht sogar noch verschenken, ruft positive Emotionen hervor“, erklärt Anne.
Wer kreativ ist, erlebt „Flow“. Anne beschreibt Flow als einen Zustand, in dem wir die Zeit und uns selbst vergessen. So treten auch Angst oder Gefühle von Sinnlosigkeit für eine Weile in den Hintergrund – sogar körperliche Schmerzen können gelindert werden.
Flow entsteht, wenn die kreative Herausforderung, mit der wir uns gerade beschäftigen, in Einklang mit unseren kreativen Fähigkeiten steht. Das Gefühl, nicht gut genug zu sein, oder aber Langeweile verschwinden – wir erleben einfach nur ein Erfolgsgefühl: „Nie ist das Gehirn glücklicher, als wenn wir im Flow sind. Denn hierbei wird das Belohnungshormon Dopamin am stärksten ausgeschüttet. Anschließend sind wir auch kreativer, wenn wir an andere Herausforderungen im Leben herangehen“, erklärt Anne.
Sie betont, dass es wichtig ist, an mehreren Projekten gleichzeitig zu arbeiten, am besten 10 auf einmal: „Wenn wir eine Woche oder einen Monat an ein und demselben Projekt sitzen, erleben wir keinen Flow. Denn an einem Donnerstagabend haben wir vielleicht nicht dieselbe Energie wie an einem Samstagmorgen, wo wir frisch und ausgeruht sind.
Die Auffassung, „Man darf nichts Neues anfangen, bevor man mit einem Projekt fertig ist“, ist also wenig hilfreich. Am besten ist es, einen ganzen Korb mit verschiedenen Projekten in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden zu haben. Dann gibt es immer etwas, was zur aktuellen Stimmungslage passt“, erklärt Anne. Vielleicht hast Du schon unzählige Leidenschaften in Deinem Leben? Zum Beispiel Backen, Unkrautjäten oder aber handwerkliche oder Handarbeitsprojekte, die Dich in „Flow“ bringen können.
Handarbeiten und Handwerk erfordert, dass wir in irgendeiner Form unsere Hände bewegen. Anne beschreibt, dass die kleinen wiederholten Bewegungen das sogenannte parasympathische Nervensystem im Gehirn aktivieren, wodurch es zu einer Entspannungsreaktion im Körper kommt.
Deswegen, glaubt sie, sind Stricken und Nähen bei jungen Leuten zurzeit auch so ein starker Trend: „Sie haben entdeckt, dass sie bei dieser Aktivität ihre Aufmerksamkeit konzentrieren können. Sie müssen nicht mehr darüber grübeln, was andere über sie denken, und das Gefühl, nicht gut genug zu sein, wird schwächer.“
„Der Körper entspannt sich einfach. Wenn wir dann durch die kleinen Wiederholungen vollkommen zur Ruhe kommen, sinkt auch der Blutdruck ganz von selbst“, erklärt Anne. Sie erklärt, dass sich die Wiederholungen einer kreativen Aktivität mit Atemübungen kombinieren lassen. So können wir das erleben, was sie natürliche Mindfulness nennt.
„Viele Menschen wissen, dass Mindfulness gesund ist und effektiv zur Bewältigung von Angstzuständen, Depressionen und vielem anderen beiträgt. Aber viele hören wieder auf, weil es irgendwie zu langweilig wird. Es fällt uns leichter, mit solchen Übungen am Ball zu bleiben, wenn wir sie mit unserer Leidenschaft verbinden. Denn das machen wir einfach gern.“
Es ist zutiefst menschlich, dass wir uns als produktiv und nützlich erleben, wenn wir etwas leisten. Das tun wir unter anderem, wenn wir kreativ sind, denn wir machen etwas, was wir entweder selbst nutzen oder einem Menschen schenken können, den wir lieben.
Dabei darf es aber nicht unser einziges Ziel sein, von anderen bewundert zu werden. „Wenn man einen Pullover beispielsweise nur macht, um ihn auf Instagram zu posten, hat das nicht denselben Effekt. Das Projekt sollte so sein, dass wir das Gefühl haben, dass der Entstehungsprozess unglaublich spannend ist und unser Körper unzählige Mikroerfolge erlebt“, erklärt Anne.
Dann gibt sie zu bedenken: „Natürlich ist es auch wichtig, Projekte fertig zu machen. Denn nur so wächst Selbstvertrauen durch die Leistung und damit der Wunsch, eine Leidenschaft weiter zu pflegen.“
Unser Gehirn funktioniert, indem es ständig neue Nervenverbindungen bildet. Hierdurch sind wir in der Lage, uns auszudrücken, zu denken, zu fühlen und Erinnerungen zu bewahren. Wenn wir das Gehirn nicht herausfordern, weil wir jeden Tag dieselben Abläufe wiederholen, erlöschen diese Verbindungen.
Eine Leidenschaft hält das Gehirn dagegen agil, weil wir es spannend finden, auf diesem Gebiet etwas Neues zu lernen: „Für ältere Menschen ist es beispielsweise leichter, weiterhin im Alltag aktiv zu sein, wenn ihnen etwas leidenschaftlich Freude bereitet. Der Gebrauch der Finger und Motorik hält nämlich die Gehirnfunktionen aufrecht, und etwas Neues zu lernen, kann tatsächlich eine Demenz verzögern oder verhindern.“
„Wenn wir unsere Großeltern dazu ermuntern, möglichst aktiv zu bleiben, dann nicht nur, damit sie Spaß haben, sondern auch, um das Gehirn möglichst gesund zu halten“, erklärt Anne abschließend.
Die Psychologie, die dahintersteckt, wenn wir aus Freude und Leidenschaft Dinge selber machen, wobei sowohl die Aktivität an sich als auch das Endergebnis eine Belohnung darstellt.
Quelle: Das Buch „Craft-Psychologie. Die gesundheitsfördernde Wirkung von Handarbeit und Handwerk“ von Anne Kirketerp (2020)